Geltendmachung und Abwehr von Pflichtteilsansprüchen
Jeder Pflichtteilsberechtigte kann verlangen, dass der Erbe über den Bestand des Nachlasses Auskunft erteilt. Gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB kann er auch verlangen, dass ein Notar das Nachlassverzeichnis erstellt.
Nach der Rechtsprechung der Obergerichte hat der Notar sowohl den tatsächlichen als auch den sog. fiktiven Nachlass zu ermitteln (vgl. zuletzt OLG Bamberg, Beschluss vom 16.06.2016 – 4W 42/16). Der fiktive Nachlass ist im Bestand des Nachlasses tatsächlich nicht mehr verfügbar, etwa weil der Erblasser den Gegenstand bereits zu seinen Lebzeiten verschenkt hat.
Die Aufnahme des fiktiven Nachlasses ist besonders deshalb wichtig, weil sich für den Pflichtteilsberechtigten hieraus neben seinen Pflichtteilsansprüchen auch sog. Pflichtteilsergänzungsansprüche ergeben können. Hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht, so kann der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung seines Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem (noch vorhandenen) Nachlass hinzugerechnet wird, § 2325 Abs. 1 BGB. Hierbei spielt auch die Wertbestimmung des fiktiven Nachlasses eine entscheidende Rolle, denn der aktuelle Wert des Gegenstandes kann vom Wert des Gegenstandes im Zeitpunkt der Schenkung erheblich abweichen.
Ein Beispiel:
Der verwitwete Erblasser hinterläßt nur seine beiden Kinder, einen Sohn und eine Tochter, und ein Barvermögen in Höhe von EUR 100.000,--. Er hat die Tochter testamentarisch zur Alleinerbin bestimmt; der Sohn möchte seine Pflichtteilsansprüche geltend machen. Diese stehen dem Sohn in Höhe der Hälfte seines gesetzlichen Erbteils, mithin in Höhe von ¼ des Nachlasses zu. Daraus ergibt sich ein Pflichtteilsanspruch des Sohnes gegen seine Schwester in Höhe von EUR 25.000,--.
Schwieriger liegt der Fall, wenn der Erblasser seiner Lebensgefährtin wenige Monate vor seinem Tod ein Wochenendhaus geschenkt hat, das nun im Nachlass „fehlt“. Das Wochenendhaus hat ebenfalls einen Wert von EUR 100.000,--. In diesem Fall ist der Wert des Wochenendhauses als fiktiver Nachlass dem tatsächlichen, also noch verfügbaren Nachlass hinzuzurechnen, sodass sich der Pflichtteils (ergänzungs)- anspruch des Sohnes nun nach EUR 200.000,-- bemißt und EUR 50.000,-- beträgt.
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